Der folgende Artikel wurde am 17. August 2024 von der Wolfenbütteler Zeitung veröffentlicht und uns zur Verfügung gestellt. Vielen Dank dafür.
Bild von Frank Wöstmann
Frank Wöstmann
Wolfenbüttel Man steht hier auf traditionsreichem Grund, auch wenn es
auf den ersten Blick nicht so aussieht. Aber das Grundstück Alter Weg 44
in Wolfenbüttel beheimatet nicht nur die kultige „Gemüse-Scheune“ von
Hans-Martin Pölig. Vielmehr gehört es zu jenen Ländereien, die der Herzog um 1750 an seine Lakaien verteilte. „Wer ihm bei seinem Umzug
nach Braunschweig nicht folgen wollte, bekam ein Handtuch Land zur
Selbstversorgung“, erzählt der Hausherr. Es wurden viele Neu-Bauern,
und auf jene Tage gründet sich Wolfenbüttels Ruf als „Stadt der Gärtner“.
Auch Familie Pölig kann auf eine stattliche Ahnenreihe verweisen. „Ich
bin hier Gemüsegärtner in zehnter Generation“, sagt Hans-Martin Pölig
stolz. Und doch wäre es beinahe vorbei gewesen mit dem ungewöhnlichen Angebot der Gemüse-Scheune, die neben ihrem Kerngeschäft unter
der alten Linde den Ausschank von Getränken sowie den Verkauf von Eis
und Grillfleisch kultiviert hat. Immer dienstags und freitags treffen sich
viele Wolfenbütteler ab 16 Uhr, um ihren Wocheneinkauf Gemüse mit einem gemeinsamen Absacker zu verbinden.
An diesem Freitag war die Partylaune besonders gelöst. Die Sorge, Hans-Martin Pölig würde aufgrund seiner fortgeschrittenen Parkinson-Erkrankung schlicht abschließen, stellte sich als überflüssig heraus. Der 58-Jährige steigt zwar tatsächlich aus und wohnt mittlerweile in einem Pflegeheim in Klein Denkte. Aber er kann sich auf seinen Sohn Max verlassen: „Ich helfe hier ja schon seit einigen Jahren“, sagt der Junior, der an der Ostfalia Informatik studiert. Außerdem fehlen ihm nur noch sechs Kurse. „Die kann ich locker verteilen, so dass ich 2025 fertig bin.“
Der Übergang in die elfte Generation ist also geglückt und zwar ganz anders als beim vorigen Mal. „Ich musste 1989 übernehmen, weil mein Vater plötzlich gestorben war“, erzählt Hans-Martin. Einmal ins kalte Wasser geworfen, hielt er den Laden mit Mutter Edith in Schwung. Er tat es mit Ideen, die seinen Sohn noch heute verblüffen: „Ich wollte eine Alternative zum Wochenmarkt anbieten, wusste aber nicht, mit welchen Produkten.“ Er ließ 500 Zettel drucken und verteilte sie. 150 der kleinen Fragebögen kamen zurück, und auf dieser Grundlage stellte der junge Chef sein Sortiment zusammen.
Diese Direktvermarktung war damals ein ebenso neuer Schritt wir die Idee, Supermärkte zu beliefern. „Inzwischen hatte sich unsere Ackerfläche ja von den 2 Morgen des Herzogs auf 25 Morgen vergrößert.“ Trotzdem reichte der Umsatz irgendwann nicht mehr für die Familie – da kam ihm der Zufall zu Hilfe. „Als ich beim Gemüseverkauf mal eine Flasche Bier getrunken habe, meinten die Kunden, da hätten sie wohl auch Lust drauf, und so ging das los.“
Was 2000 in der Scheune übersichtlich begann, wuchs später über „einen Bäcker und die Käse-Frau“ immer weiter. Brot und Käse sind inzwischen weg, aber Weinstand und Grillecke sind untervermietet und „brummen“. Mittlerweile stehen Bierzelt-Garnituren für rund 250 Personen unter der Remise und im Garten, dazu kommen noch ungezählte Stehplätze. „Damit hätte ich im Leben nicht gerechnet.“ Fast ein bisschen schade, dass der Gemüse-Verkauf etwas ins Hintertreffen geraten ist. „Stattdessen haben wir viele Anfragen zur Komplettvermietung, gerade samstags buchen uns gerne Hochzeitsgesellschaften.“ Auch das Projekt „Café Verum“ unter dem Dach ist noch lebendig, liegt aber auf Eis.
Vielleicht war das alles auch irgendwie ein bisschen viel für den Seniorchef, der im Herbst 2023 erste Anzeichen von „atypischem Parkinson“ zeigte. „Vor allem die vielen Medikamente machen mich ganz drusselig“, sagt er heute. Alleine zu leben sei nicht mehr möglich, und jetzt noch arbeiten zu müssen, wäre der Horror. „Er fühlt sich in Klein Denkte wohl, aber wir suchen eine geeignete gemeinsame Lösung“, sagt sein Sohn. „Papa muss wieder nach Hause.“
Das steht also fest. Doch der 23-Jährige hat auch schon Ideen, wie sich die Gemüse-Scheune noch attraktiver gestalten ließe. „Es gibt ein paar rumpelige Ecken, die ich gern schöner machen wurde. Außerdem hätten wir dann mehr Platz.“ Jetzt aber gelte es erstmal, die aktuelle Saison gut zu Ende zu bringen. „Kurz vor dem Weihnachtsmarkt im Dezember wird abgeharkt“, verkündet er eine alte Gärtner-Weisheit.
Bis dahin wird er sich vielleicht auch mal unter den Gästen umhören, was die sich noch wünschen – mit dieser Art Bürgerbeteiligung haben die Pöligs ja schon gute Erfahrungen gemacht. Nicht nur mit der ZettelUmfrage Anfang der 90er-Jahre, sondern auch bei der Gestaltung der Kinderecke: „Da kamen die Eltern selbst auf uns zu und fragten, ob sie ein Sparschwein für den Bau eines Klettergerüstes aufstellen dürften.“ Durften sie, und so kam die erforderliche Summe schnell zusammen.
Überflüssig zu sagen, dass mittlerweile schon die ersten Kinder dieser Eltern alleine in die Gemüse-Scheune kommen – mit eigenen Kindern. Man steht hier eben auf traditionsreichem Grund.
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